‹... Brunschwilers Auslegung von Octavio Paz gewinnt ihre Nähe zum Text nie allein aus einzelnen Zeilen oder Begriffen, sondern vielmehr aus der Gesamtbewegung der Wortgebilde. In Abwandlung eines Satzes von Octavio Paz über dichterisches Schaffen schreibt Brunschwiler: "Zeichnungen sind unvollendete und nicht zu vollendende Formobjekte. Es gibt keine definitive Version, jede Zeichnung ist der Entwurf der anderen..."
So gewinnen z.B. die Zeichnungen zu "Sonnenstein" ihre Vielfalt aus der Hervorhebung weniger, aber wesentlicher Momente des Textes: seiner Drei-Einheit und seiner Kreishaftigkeit (die letzten sechs Zeilen sind zugleich die ersten). Die drei Zeichnungen spiegeln jene Momente durch farbliche, motivische und kompositorische Gliederung: das im Gedichteingang mehrfach erscheinende (Jade)-Grün, das Gelb der Flamme im Zentrum, Indigo zusammen mit Gelb, Rot und Weiss als farbliche Ordinaten für die "Türe des Seins"; Kreis und Gerade als figürliche Elemente, die, wie bei Sonne und Pyramide offenkundig, mexikanische Motive aufnehmen, um sie zuletzt als Grundformen des Lebens und Seins erscheinen zu lassen; locker gefügter Kreis, explosiv gefülltes Chaos, schliesslich eine Komposition, die in Verbindung von Zentrum bzw. Spirale mit (Welt-)Achsen die Spannung von Endlichkeit und Unendlichkeit andeutet.
Wie in "Sonnenstein" zeigen alle Paz-Illustrationen von Brunschwiler eine den Texten verwandte Bewegung, indem sie Gliederung schaffen, deren Ausformung zugleich die Vorläufigkeit und Unabschliessbarkeit solcher Entwürfe enthält.›
Text: Dr. Wendelin Göbel
Bilder und Text entstammen dem Buch: Nobelpreis für Literatur 1990, Octavio Paz, Suche nach einer Mitte, Coron Verlag, Lachen am Zürichsee 1991, deutsch / spanisch (mit 12 Zeichnungen von L. Brunschwiler zu Gedichten und Essays von O. Paz)
|